Erster Dezember
Mit den Träumen ist es eine seltsame Sache. Entweder sie kommen mitten in der Nacht und haben das Zeug dazu sich so in uns zu verstecken, dass wir uns am nächsten Tag nur selten oder schwer an sie erinnern können. Oder sie sind Tagträume in denen wir uns etwas so sehr wünschen, dass es unser ganzes Denken beherrscht. Jedenfalls haben sie einen gewissen Einfluss auf unser Leben. Man muss seinen Träumen folgen, um wirklich glücklich zu werden, sagen viele. In diesem Adventskalender soll es um gelebte und erfüllte Träume von Menschen gehen und – welche Anmaßung – auch um einen träumenden Gott.
Dabei sind viele der Texte ein wenig kürzer als aus den Vorjahren gewohnt. In der Kürze liegt jedoch gewissermaßen die Würze. Außerdem handelt es sich dieses Jahr nicht um Geschichten, die gewissermaßen nebeneinanderstehen, sondern die täglichen Texte stehen in einem Erzählbogen und somit in einem Gesamtzusammenhang.
Eine traumhafte Adventszeit wünsche ich all meinen Lesern und Leserinnen!
Zweiter Dezember
Sagte der alte Mann: „Siehst du Mädchen, leben kann man nicht, ohne das Leben vorher zu träumen. Erst träumte eine unserer Vorfahrinnen vom beherrschbaren Feuer, das das Leben und Überleben ihrer Sippe viel einfacher und sicherer machen könnte. Dann dachte sie nach und probierte vieles aus, bis sie schließlich den funkengebenden Feuerstein und den Zunderschwamm in den Händen hielt. Einer träumte von einem Mittel um schwere Lasten leichter transportieren zu können. Im Traum sah er das Rad und brauchte es nur noch nachzubauen. Träume können Wirklichkeit werden. Und: Träume sind wichtig um das wirkliche, gelebte Leben voranzubringen und zu verändern. Lass also Träume zu. Freunde dich mit ihnen an!“
Dachte das Mädchen nach. Sagte schließlich zweifelnd: „Aber die schlechten Träume! Die Albträume, die sich nachts auf die Brust legen und das Leben bedrückend machen, so sehr, dass man gar nicht mehr leben will. Warum – und wie - soll ich mich mit ihnen anfreunden?“
Dritter Dezember
Lächelte der Alte: „Wenn du schwierige Situationen im Traum schon erlebt hast, kannst du in deinem wachen Leben besser mit ihnen klarkommen. Lass auch die schlimmen Träume zu: auch sie werden dir helfen.“
Träumte Gott …. von Menschen die kreativ und kraftvoll ihr Leben gestalten und die sich dabei nicht nur auf andere verlassen.
Sagte das Mädchen: „Das kling gut! Ich träume mein Leben um es besser bewältigen zu können. Aber: andere träumen vielleicht von mir. Mein Vater zum Beispiel hatte einen Traum von mir. Tänzerin sollte ich werden; leicht wie eine Feder sah er mich über die Bühnen der Welt schweben. In seinen Träumen verzauberte ich das Publikum, es jubelte mir zu und feierte mich. Nun schau mich an, Alter: klein, körperlich unbeholfen und pummelig bin ich. Wie soll ich schweben können? Ich kann nicht die Träume anderer von mir erfüllen, selbst wenn ich wollte.“
Vierter Dezember
Forderte der Alte sie auf: „Schlafe und träume!“
Schlief das Mädchen also und träumte: Sie sah sich so, wie sie eben war: klein, ungeschickt und pummelig. Mit dem Vater stand sie vor einem großen Spiegel im Tanzstudio. Um ihm eine Freude zu machen versuchte sie sein Traumbild von ihr zu leben. Eine strenge Stimme forderte sie zu schwierigen Übungen auf – zu schwierig aber waren die Anweisungen und ihre Versuche die Befehle der Lehrerin zu befolgen sahen so lustig in ihrer Unbeholfenheit aus, dass sie nicht anders konnte als sich selbst lachend im großen Spiegel zuzusehen und schließlich aufzugeben. Auch der Vater konnte herzlich mitlachen. „Sei du selbst!“ sagte er schließlich „Ich hab dich so lieb wie du bist!“